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Prof. Dr. Klaus Dörre

Die Region Kassel [ist] ein Knotenpunkt sozial-ökologischer Transformation. Hier findet sich im Kleinen vieles, was auf den großen Bühnen dieser Welt verhandelt wird.

Interview

Was genau erforscht Ihr Fachgebiet? Welche konkreten Fragen oder Probleme versuchen Sie derzeit zu lösen?

Als Soziologe befasse ich mich mit gesellschaftlichen Konflikten, die im Zuge des sozial-ökologischen Umbaus und des digitalen Wandels entstehen. Mein Thema ist die „umkämpfte Transformation“ in der Arbeitswelt. In diesem Zusammenhang interessiert mich besonders, ob und wie Übergänge in bessere, weil sozial und ökologisch nachhaltige Gesellschaften aussehen können. Zuletzt habe ich mich vor allem mit dem Verhältnis von Klasse und Klima beschäftigt, das in der Soziologie sehr kontrovers diskutiert wird. Ein Forschungsschwerpunkt ist die Auto- und Zulieferindustrie, die gegenwärtig im Zentrum des krisenhaften Umbruchs steht. In diesem Zusammenhang befasse ich mich auch mit der Frage, warum überdurchschnittlich viele Arbeiter mit radikal rechten Formationen sympathisieren.  

Welche persönlichen Ziele oder Visionen treiben Sie in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit an?

Vieles spricht dafür, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt, um die Weichen in Richtung nachhaltiger Gesellschaften zu stellen. Das ist, was mich umtreibt und motiviert. Ich favorisiere einen Modus soziologischer Wissensproduktion, den mein verstorbener Freund und Kollege Michael Burawoy als Public Sociology bezeichnet hat. Das bedeutet, den Elfenbeinturm reiner Wissenschaft zu verlassen, um gezielt in Kommunikation mit der demokratischen Zivilgesellschaft zu treten. Eine

Voraussetzung dafür ist ergebnisoffene empirische Forschung auf fachlich hohem Niveau. Wir haben das exemplarisch mit Führungskräften, Betriebsrat und Gewerkschaft u a. im VW-Werk Kassel-Baunatal praktiziert. Daran würde ich gerne anknüpfen.

Was zeichnet Nachhaltigkeitsforschung am Kassel Institute for Sustainability aus?

Ich halte Idee, das Profil der Universität Kassel an den 17 Nachhaltigkeitszielen auszurichten und die Forschung zu Sustainability in einem Institut zusammenzuführen, schlicht für großartig. Das gilt umso mehr, als wir gegenwärtig Zeugen eines „großen Rollbacks“ in Sachen Nachhaltigkeit sind. Umso wichtiger wird es, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammenzuführen, die die Suche nach gerechten Übergängen in bessere, weil nachhaltige Gesellschaften nicht aufgeben. Aus meiner Sicht ist die Region Kassel ein Knotenpunkt sozial-ökologischer Transformation. Hier findet sich im Kleinen vieles, was auf den großen Bühnen dieser Welt verhandelt wird. Das empfinde ich als geradezu elektrisierend, zumal es sich um meine Heimatregion handelt. 

 

Wie schätzen Sie die Auswirkungen der sozial-ökologischen Transformation der Automobilindustrie auf die Wirtschaftsstruktur und Beschäftigungslage in Nordhessen ein?

Von den 15.500 Arbeitsplätzen, die das VW-Werk Kassel in Baunatal zwischenzeitlich hatte, könnten allein im Zuge der Antriebswende und des Übergangs zu elektromotorisch getriebenen Fahrzeugen bis zu 8.000 wegfallen. Es geht aber nicht allein um die Arbeitsplätze bei VW. Auf jeden Beschäftigten dort kommen bis zu sieben Arbeitsplätze im Handwerk, im Dienstleistungsbereich etc., die vom Baunataler Werk abhängen. Geriete VW in Schwierigkeiten, wäre das ein großer Aderlass für die Region. Neben vergleichsweise gut bezahlten Arbeitsplätzen würden Steuereinnahmen für die Kommunen wegfallen. Gut bezahlte Industriearbeitsplätze gäbe es dann vor allem in der nun wieder boomenden Rüstungsindustrie. So muss es aber nicht kommen. Nach unserer VW-Studie haben wir vom „Baunataler Wunder“ gesprochen, weil im Werk Transformation von unten betrieben wurde. Werksleitung und Betriebsrat hatten den Weg in Richtung E-Mobilität bereits beschritten als davon im Konzern noch keine Rede war. Ausgebaute Mitbestimmung macht offenbar innovativ. Deshalb ist das letzte Wort in Sachen Transformation noch lange nicht gesprochen.    

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